"Wir Menschen, heute und in der Zukunft, brauchen den Wald für ein gutes Leben. Deshalb ist sein Überleben unabdingbar. Die Komplexität der Waldökosysteme und der Umweltwandel bedeuten eine große Unsicherheit für unser Wirtschaften mit den Wäldern. Deshalb müssen wir vom Wald lernen und unser Handeln demütig anpassen. Jegliche Nutzung des Waldes muss dabei ethisch reflektiert und gerecht sein."
Peter Wohlleben und Pierre Ibisch
Im Wintersemester 2024/2025 startete an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde der Bachelor-Studiengang „Sozialökologisches Waldmanagement“.
Angestoßen von Peter Wohlleben und dem Magazin GEO sind aus einer Idee für eine alternative akademische Ausbildung zum Wald ein theoretisches Konzept, ein Curriculum und ein größeres Netzwerk geworden. Es geht um mehr als "nur" den neuen Studiengang. Die Initiative wirbt für einen ökosystemgerechten Umgang mit dem Wald und eine neue Sicht auf den Wald als Überlebensressource. Sie sah sich in der Gründungsphase mit erheblichem Widerstand konfrontiert, weil sie offenbar als Bedrohung für die Forstwirtschaft angesehen wurde.
Wald ist eine knappe Ressource. Wald ist (nicht nur für Menschen) überlebenswichtig. Also muss er bewirtschaftet werden.
Dabei gilt der Dreiklang, dass die Waldbewirtschaftung ökosystembasiert sein soll, ethisch zu reflektieren ist und einen Beitrag zum kurz- und langfristigen Wohlergehen der Menschen leisten muss.
Zum Umgang mit dem Wald gehören nicht allein die rationale Erfassung und Nutzung, sondern auch das emotionale Erleben. Unsere Befähigung zur Biophilie ist eine Voraussetzung für ein gutes Leben im und für den Wald und muss aktiv gefördert werden.
Vielen Wäldern geht es sehr schlecht. In Deutschland sind allein nach den extremen Sommern ab 2018 auf Millionen von Hektar Bäume abgestorben. Wälder leiden unter Übernutzung und Fehlnutzung, unter menschgemachten Landschaftsveränderungen und dem Klimawandel.
Der Umgang mit dem Wald widerspricht zu oft dem verfügbaren Wissen.
Zu viele Waldflächen haben ihren Waldcharakter, ihre Funktionen und Ökosystemleistungen verloren.
Die Veränderungen von Biosphäre und Atmosphäre, die Krisen des Erdsystems und die Herausforderungen in unseren Gesellschaften erfordern neue Herangehensweisen an Landnutzung und Ökosystemmanagement.
Theorie und Praxis des Waldmanagements müssen im Einklang mit dem Wissen aller relevanten Wissenschaften stehen. Und sie sollten der großen Unsicherheit bezüglich der zukünftigen Entwicklungen Rechnung tragen.
Forstwirtschaft im 21. Jahrhundert: schwere Bodenschädigung durch Abschieben des Oberbodens und Pflügen auf einer Fichten-Kalamitätsfläche zur Vorbereitung neuer Nadelbaumpflanzungen im Reinhardswald, Hessen, 2021. Das Ökosystem und seine Erholungsfähigkeit werden stark beschädigt, die Fläche ist eine Quelle für Treibhausgase.Nicht überall wird so im Wald gearbeitet, aber auf zu vielen und zu großen Flächen (Foto: Pierre Ibisch)
Der ethisch-theoretische Überbau der Sozialökologischen Waldbewirtschaftung kann aus naturwissenschaftlichen Befunden und einem ‚Prinzip Verantwortung‘ abgeleitet werden .
Das Konzept fußt zum einen auf der Idee der sozialökologischen Systeme, die bedeutet, dass menschliche Gruppen, also etwa Organisationen, Unternehmen oder Staaten – also soziale Systeme – mit konkreten ökologischen Systemen in Interaktion treten. Die beiden Systeme beeinflussen sich gegenseitig. Dabei entsteht menschliches und „ökosystemares“ Wohlergehen, oder eben auch nicht.
Die Angelegenheit ist komplex - nicht zuletzt deshalb, weil alle sozialen Systeme komplett von der Funktionstüchtigkeit der Biosphäre, also dem globalen ‚Über-Ökosystem‘ abhängen. Menschen sind Teil dieses Erdökosystems, und ihre Existenz sowie ihre Gesundheit hängen von den Ökosystemleistungen ab. Das wurde auch schon von den Vereinten Nationen anerkannt. Hieraus ergeben sich bedeutsame Konsequenzen normativer Art, die allerdings weder von den Verfassungen und Strategien unserer Staaten, noch von der Art unseres Wirtschaftens reflektiert werden.
Das klingt theoretisch, hat aber ganz praktische Konsequenzen. Es muss nämlich ein Primat der Ökologie oder der Ökosysteme gelten: Das wichtigste und übergeordnete Ziel jeglichen Wirtschaftens muss es sein, dass es den Ökosystemen gut geht und sie funktionieren können. Daraus ergeben sich ein klares strategisches Ziel und konkrete Handlungsnotwendigkeiten.
Gleichzeitig müsste der angemessene Zugang zu allen existenziell relevanten Ökosystemleistungen ebenso ein Menschenrecht sein wie die Beteiligung an Entscheidungen zum Ökosystemmanagement.
Aus diesen Überlegungen kann die Idee einer zeitgemäßen „Waldgerechtigkeit“ abgeleitet werden, die - genauso wie Klima- oder Umweltgerechtigkeit - politisch zu gewährleisten ist.
Der sozialökologische Ansatz schließt nicht aus, dass Wälder bewirtschaftet werden, sondern er bedeutet vielmehr, dass es unabdingbar ist. Neu ist sicherlich, dass die sozialökologische Waldbewirtschaftung dafür steht, dass alle Ökosystemleistungen als knappe und sich ggf. verknappende Ressource bewirtschaftet werden.
In Zeiten des (unter Umständen die Existenz von 1. forstlicher Nutzung, 2. von Wäldern oder gar 3. der menschlichen Zivilisation komplett in Frage stellenden) Klimawandels gilt allerdings, dass die ökosystemaren Funktionen und Leistungen neu zu bewerten sind.
Die Regulation des globalen Klimawandels, das Abbremsen und Puffern der regionalen und lokalen Wirkungen dieses Klimawandels und vor allem auch die Bewahrung eines für die Menschen günstigen Wasserhaushalts gewinnen eine neue, vielleicht übergeordnete Bedeutung. Wenn also eine Nachfrage für derartige Ökosystemleistungen existiert oder existieren müsste, ist zu konzipieren, wie das zum Marktgeschehen passt und wie sich mit der Sicherung der Ökosystemleistungen auch Geld verdienen lässt.
Die Forstwirtschaft ist zur Sicherung der Holzversorgung entstanden.
Die Sozialökologische Waldbewirtschaftung geht deutlich darüber hinaus. Vor allem priorisiert sie die Bewahrung gesunder Waldökosysteme.
Viele Akteur:innen der Forstwirtschaft haben verstanden, dass Ökosystemleistungen über die Holzproduktion hinaus in der Gesellschaft eine größere Aufmerksamkeit erfahren. Sie versuchen, das für ihren wirtschaftlichen Erfolg auszunutzen. Das ist legitim.
Außerdem ist zu beobachten, dass die Leistungen des Waldes oftmals falsch eingeschätzt werden, und die Selbstdarstellung der Forstwirtschaft nicht auf der Höhe der wissenschaftlichen Befunde erfolgt. Selbst nachdem etwa die im Jahr 2024 veröffentlichten Ergebnisse der Bundeswaldinventur eindeutig belegen, dass die Wälder in Deutschland in den letzten Jahren keine Senke für Treibhausgase darstellten, sondern vielmehr zur Netto-Quelle wurden, beharren die Lobbyisten der deutschen Forstwirtschaft auf der Erzählung, dass die Waldbewirtschaftung zum Klimaschutz beiträgt (vgl. rechts im Bild, Grüne Woche, Januar 2025).
Die aktuelle Waldkrise in Deutschland ist auch eine Wissenskrise. Dabei ist weniger das fehlende Wissen ein Problem, sondern die Rezeption von wissenschaftlichen Ergebnissen in der Praxis und in der Waldpolitik. Nichtwissenwollen spielt vielleicht eine Rolle. Es gibt aber offenkundige Des- und Fehlinformation wie in anderen Lebens- und Politikbereichen auch. Das kann der Waldbewirtschaftung und vor allem dem Wald schaden.
Ein Sozialökologisches Waldmanagement betrifft nicht nur Maßnahmen im Wald. Es umfasst auch eine bestmöglich fakten- und wissensbasierte sowie ehrliche Kommunikation und den Einsatz für eine entsprechende Governance ohne Propaganda und Täuschung.
Es ist wichtig, dass Wälder als komplexe Systeme verstanden werden. Diese funktionieren nicht deshalb, weil sie aus Teilen bestehen, sondern weil diese miteinander interagieren.
Waldmanagement ist zum guten Teil Erhaltung der Wechselwirkungen im System (wesentlich: Austausch von Energie, Masse und Information).
Komplexe Systeme zeigen gleichermaßen die Fähigkeit zur Selbstorganisation und chaotische Eigenschaften. Das beruht auf der Vielfalt der vom Zufall beeinflussten Interaktionen und unzähligen Rückkopplungen. Diese bedeuten oft Selbstverstärkung, Synergien oder auch Aufschaukeln von Prozessen. Damit sind Wälder klar beeinfluss-, aber nur beschränkt steuerbar.
Unter den Bedingungen eines fortschreitenden Umweltwandels, der komplexen Stress im Ökosystem antreibt, bietet das inhärent nichtlineare und nicht vorhersagbare Verhalten der Wälder Anlass für ein grundlegendes Paradigma des tastenden, vorsorgend-vorbeugenden adaptiven Managements.
Nichtwissen und grundsätzliche Unbestimmtheit des sozialökologischen Walds implizieren allerdings keineswegs eine Beliebigkeit oder Ziellosigkeit des Handelns. Die Anerkennung von unauflösbarem Nichtwissen einschließlich der mutmaßlich sehr relevanten blinden Flecken erfordert eine neue Kultur des Lernens und Wissensmanagements.
Möchten Sie die Initiative des Sozialökologischen Waldmanagements unterstützen? Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme!
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